(1,3 und 4 öffnen mit Klick auf den Songtitel den kompletten Song als Hörprobe)
Es ist jetzt schon ein Weilchen her, seit ich das letzte mal ein Review geschrieben habe. Warum mir in letzter Zeit die Lust am schreiben etwas vergangen ist, kann ich nicht so recht sagen. Heute jedenfalls hab ich mich aber am sprichwörtlichen Riemen gerissen, denn dieses Album verdient es, dass man darüber schreibt. Wobei, eigentlich verdient es in erster Linie gehört zu werden aber ich hoffe, dass hier das eine zum anderen führt und dass ich den einen oder anderen für dieses Teil begeistern oder zumindest neugierig machen kann. Daher auch eine Warnung vorweg: Es soll ja Leute geben, die mit extrem subjektiven und emotionsbetonten „Album-Besprechungen“ Mühe haben. Ist mir wurscht. Ich werde versuchen in Worte zu fassen, was mir beim Hören dieses Jahrhundertwerkes (ja, ich nehme das auch schon vorweg) durch den Kopf geht.
Doch zuerst ein kleiner Exkurs über die Band-Historie. Kayo Dot entstanden sozusagen aus der Asche der Progressiv-Metal Band maudlin of the Well. Zur einen oder anderen Verwirrung führen kann allerdings die Tatsache, dass es sich bis auf ein paar geringfügige Änderungen um die selben Typen handelt, die sich unter neuem Namen um Mastermind Toby Driver versammelt haben. Das warum/wieso/weshalb... für die Namensänderung soll an dieser Stelle nicht weiter erläutert werden. Wen’s trotzdem interessiert, der kann die zahlreichen Interviews mit Toby Driver dazu lesen. Google hilft gerne bei der Suche.
Toby Driver studierte am Hampshire College in Amherst und war ein Schüler von Jazz-Musiker Yusef Lateef, dessen Theorien über autophysiopsychic Music Driver nachhaltig beeinflusst haben. Klingt interessant, nicht? Leider habe ich nicht die leiseste Ahnung was das genau ist. Naja, jedenfalls scheint dieser Toby Driver ein intelligenter Kerl zu sein, der weiss, was er tut. Diese Erkenntnis wird spätestens dann an Bedeutung gewinnen, wenn man sich das erste mal an das Album heran wagt und sich nach dem ersten Durchlauf am Kopf kratzt und sich fragt, was für eine Abgedrehtheit einem da gerade durch die Gehörgänge gedonnert ist. So, das scheint gerade eine gute Überleitung zu ein. Wir nähern uns langsam dem Kern der Sache: der Musik.
Ein Blick auf die „Cast“ und die zahlreichen aufgelisteten Instrumente lassen schon etwa erahnen was da auf einen zukommt. Marathon erklingt, Tommelwirbel. Scheppernde Gitarrenakkorde. Eine Stimme erklingt, einer Bahnhofsdurchsage nicht unähnlich. Dann Ruhe, für ein paar Sekunden. Ein Blasinstrument erklingt, ich glaube es ist die Trompete, begleitet von ein paar „surrealen“ Gitarrenklängen. Eine Flöte setzt ein. Alles wirkt lieblich, geradezu himmlisch friedlich. Und dann auf einmal bricht alles zusammen. Kreischende Gitarren, kreischender Toby Driver, elektronische Frickeleien, Piano-Klänge vernab jeglicher Harmonien. Knapp eine Minute dauert dieser bestialische Krach. Wie aus heiterem Himmel lösst sich aber alles wieder in Wohlklang auf. Plötzlich wird es harmonisch, ein Melodiefetzen, etwas greifbares, gerade zu epische Klänge springen einem entgegen. Aber nur für wenige Sekunden. Die Stimmung schlägt sogleich wieder um. Es wird wieder ruhig, traumwandlerisch. Ein Rauschen hier, ein komisches Sample da, die Gitarre unterlegt das Ganze mit schwebenden Klanggebilden. Auf einmal glaubt man einen Ausschnitt aus einem Filmscore eines klassischen Hollywoodfilms im Hintergrund zu hören. Wie aus dem nichts taucht eine Art Erzählstimme und begleitet einen bis zum Ende des Stücks. Etwas mehr als 10 Minuten hat dieser Tripp gedauert und es soll nur ein Vorgeschmack sein auf das, was noch folgen wird.
A Pitcher Of Summer kommt verglichen mit dem Opener fast schon zugänglich daher. Ja, man kann fast schon sagen, dass hier songorientiert musiziert wird. Toby Driver, dem man noch vor wenigen Minuten zuhören konnte, wie er sich die Seele aus dem Leib schreit, singt plötzlich mit einer verführerischen Sanftheit, ja fast schon engelsgleich. Fast hat man das Gefühl, dass da Jeff Buckley am Mikro ist. Die Gitarre folgt manchmal den Gesangslinien, fungiert manchmal aber auch wie eine zweite. Eine zweite Gitarre sorgt für die unterliegenden Klangebilde. Mal kräftig und verzerrt, mal ebenso leicht wie der Gesang. Wie schon beim Opener wird geschickt mit einer laut-leise Dynamik gespielt, was den Songs einen wahnsinnigen Spannungsbogen verleiht. So steigert sich A Pitcher Of Summer gegen Ende mehr und mehr und endet mit zwei markdurchdringenden Schreien, die einen aus der vorher beständig aufgebauten Traumwelt hinausreissen.
The Manifold Curiosity mit einem „Ballet“ zwischen French Horn (müsste das eigentlich sein) und der Lead-Gitarre. Die Bühne bildet ein Klangteppich aus verzerrten und akustischen Gitarrenakkorden. Zwei Minuten dauert dieser Tanz. Dann verkündet eine Stimme den Songtitel und die Gitarre-Akkorde beginnen mit einer fast schon ungewohnten Regelmässigkeit und Ordnung zu erklingen. Gesang setzt ein, elektronisch verfremdet, wie durch einen Mixer geschnetzelt. Dennoch ist es ein Genuss für die Ohren. Schwer zu erklären so was. Wieder wird die aus heiterem Himmel Ruhe von gewaltigen Gitarrenwänden durchbrochen. Gerade als man denkt, dass das Album aufgrund seiner „Unberechenbarkeit langsam berechenbar wird“, folgt der wohl grossartigste Abschnitt des Albums. 7 Minuten, in einer Intensität, wie ich es noch nie erlebt habe. Diese 7 Minuten haben mir buchstäblich den Atem verschlagen. Dabei beginnt alles ganz harmlos. Die Stimmung ähnelt derjenigen der ruhigen Passagen des Openers. Mehrere Stimmen im Hintergrund murmeln etwas vor sich hin. Eine paar Streichinstrumente spielen liebliche Melodien. Langsam baut sich einem in der Magengegend ein mulmiges Gefühl auf. Das kann sich nur um die Ruhe vor dem Sturm handeln. Augenblicke später ist man sich sicher: Die Frage ist nicht ob der Sturm kommt, sondern wann. Die beginnt erst leicht zu kratzen, wird immer dominanter, das kratzen wird zum Kreischen, die Violinen beginnen zu kreischen, Driver beginnt zu kreischen, das Tempo zieht an, schneller, schneller, lauter, lauter. Man bekommt das Gefühl dass sich vor einem die Hölle öffnet und man von einer Horde Dämonen überrannt wird. Wann hört das endlich auf??? Ein Break, ah vorbei, nein doch nicht, wieder Break, jetzt vorbei? Nein, die Intensität nimmt nur noch mehr zu. Driver kreischt, dass wahrscheinlich sogar dem hartgesottensten Black-Metaller Angst und Bange wird. Der Zähler springt auf 14:30. Der Sturm ist vorbei. Das Höllentor ist geschlossen. Kein Lebewesen entkam dem Sturm....oder etwa doch?
Ich werde an dieser Stelle darauf verzichten, die letzten beiden Songs in derselben Ausführlichkeit zu besprechen bzw. nachzuerzählen. Nur soviel, sie halten noch die eine oder andere Überraschung bereit. Natürlich kann man sich auch die oben verlinkte Hörprobe zu Gemüte führen, wobei das Album in seiner Ganzheit wesentlich besser wirkt als wenn man die Songs voneinander isoliert anhört.
Fazit: Choirs For The Eye ist ein einzigartiges Album. Progressiv im ursprünglichen Sinne. Inspiration holten sich die Jungs bei Post-Rock Exponenten wie Godspeed You Black Emperor, Jazz, Prog-Rock, Prog-Metal, World-Music, Kammermusik, moderner Klassik...uvm. Zusammengemischt ergibt sich etwas völlig neues. Ein monumentales Meisterwerk, das sich einem erst nach mehreren Dutzend Durchläufen so richtig erschliesst. Mit jedem Durchlauf gibt es ein paar seiner kleinen Geheimnisse Preis. Man entdeckt jedes Mal mehr und das wirklich erstaunliche ist, dass das Album je nach Gemütslage anders auf den Hörer wirkt. Mal hinterlässt dieser, mal jener Part den bleibenden Eindruck. Mal berührt einem das Album wegen seiner traumwandlerischen Leichtigkeit, mal wegen seinen dunklen Abgründen. Mal zaubert es ein Lächeln auf dein Gesicht, mal würdest du dich am liebsten unter deinem Bett vor ihm verstecken. An anderen Tagen wiederum scheint alles auf einmal zu wirken und man erlebt eine wahre Gefühlsachterbahn. Toby Driver und seine Mannen haben mit diesem Album ein Jahrhundertwerk abgeliefert, das in Punkto Ideenreichtum, Innovation und Umsetzung seines Gleichen sucht. Es ist ein Album, das alles in Frage stellt, was man über Musik zu wissen glaubt. Es reisst Konventionen nieder, überspringt Grenzen, ist die Tür zu einer Reise ohne Wiederkehr. Wer sich auf das Album einlässt, wer sich ihm voll und ganz hingibt, wird nach diesen 55 Minuten nicht mehr der selbe Mensch sein.
10 / 10 --------------------- J’ai l’horizon dans le regard et l’espoir dans le cœur La tête pleine de musique, alors j’attends mon heure
Könntest du dann vielleicht deine Endrücke hier posten? Würde mich noch interessieren. --------------------- J’ai l’horizon dans le regard et l’espoir dans le cœur La tête pleine de musique, alors j’attends mon heure
Klar mache ich das, auch wenn es definitv unprofessionell sein wird
Nunja, aber erst muss ich mal das gute Stück mein eigen nennen. Vermutlich geht nächste Woche die Bestellung raus (Caiman Florida) dann dauert es nochmal ca. 14 Tage bis die CD kommt.
Nach mehreren Anläufen, heute ist die CD das 3. im Player um genau zu sein ;-) , höre ich nun die Kayo Dot – Choirs of the Eye das erste Mal komplett durch. Bisher gab ich immer so auf Höhe des 2. Liedes auf da ich die CD als Absacker nutzen wollte wozu das balladenartige Grundkonstrukt des ersten Liedes wie gemacht scheint. Allerdings machten mir die „Kakophonie“-Einlagen jedes Mal einen Strich durch die Rechnung. Man könnte es auch etwas freundlicher ausdrücken und sagen das es Black-Metal bzw. schon fast Death-Metal Einlagen sind.
Dies wirkt sich weniger störend aus, wenn man diese CD nicht zum Entspannen sondern zum zuhören einlegt. Auch bei der Arbeit am PC, wie im Augenblick, ist das Album eine gute Wahl. Man kann bei den ruhigeren Parts innehalten und zuhören bei den eher metal-ischen Einlagen am PC aktiv werden.
Beim weiteren zuhören überrascht einen Toby Driver mit stark psychedelischen Einlagen welche das Werk leicht in die Stoner-Ecke gleiten lassen. Alles wirkt aber insgesamt sehr passend arrangiert und auf jeden Fall nie langweilig.
Vorläufiges Fazit:
Insgesamt möchte ich behaupten diese CD erschließt sich nicht beim ersten Mal anhören, diese Scheibe benötigt mehrere Durchgänge bis sich einem das Album in seiner Gesamtheit öffnet.
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