Tag 2, Samstag, 20.09.06 - Von Oboen, Chaos und George MichaelEs ist eine gewachsene Tradition, dass den jeweiligen Tages-Opener eine vielversprechende Newcomer-Band aus dem Gastgeberland macht. Einzige
Ausnahme waren bis jetzt wohl nur die international etwas bekannteren deutschen Prog Death-Thrasher Disillusion, die das letztjährige PP eröffneten und dabei so viele Zuschauer in den Saal zogen wie vermutlich noch nie zuvor ein PP-Festival-Opener.
Für dieses Jahr oblag dieser Part
ANOTHER MESSIAH aus Nijmwegen, die allerdings mit dem klassischen Prog Metal nur mehr wenig gemein haben. Als „Post Doom Metal“ bezeichnet die Undergroundband selbst ihren Musikstil, womit sie eigentlich gar nicht so falsch liegen mit ihrer Kombination aus Nu Metal, harten und teilweise doomigen Passagen die an frühe Green Carnation erinnern.
Glanzvoller Mittelpunkt ist Sänger und Frontmann Robbie J. de Klerk, der mit einem bemerkenswerten Stimmvolumen aufwartet und so ganz nebenbei in ständiger Bewegung ist und die volle Breite der Bühne optimal für seine Präsentation ausnutzt. Nicht viele Sänger beherrschen sowohl hervorragende Grunts als auch wundervolle, beeindruckende cleane Gesangspassen in derart vollkommener Harmonie, Vollendung und dramaturgisch sowie musikalisch perfekter Dosierung. Auch sein show- und songdienlicher Einsatz des Oboespiels war ein weiterer angenehmer Kontrastpunkt, der dem Sound einen leicht orientalischen Touch verlieh. Hin und wieder schimmerten auch kleinere Ähnlichkeiten mit den derzeit immer noch recht angesagten sogenannten „Mittelalterbands“ und den israelischen Prog Death Metallern Orphaned Land durch.
Bemerkenswert auch die sauberen Gitarrenwände und Melodiebögen, die der einzige Gitarrist der Band, Martijn R. van de Leur, zu spinnen verstand. Kraftvolles Riffing stand gegen komplexes Finger-Picking und verlieh den Songs enorme atmosphärische Dichte. Ausgedehnte Intros und breit gestreute Instrumentalpassagen wurden so zum ungetrübten nachhaltigen Genuss ohne Durchhänger. An der Länge ihrer Songs dürften die Niederländer gerne noch etwas arbeiten, zu kurz ist manchmal der musikalische Genuss geraten. Ansonsten gibt es über ANOTHER MESSIAH nur Löbliches zu berichten. Ein würdiger und exzellenter Opener des Festivals und für mich DIE Entdeckung des Wochenendes!
So motiviert sich die Italiener von
CHAOSWAVE auch gaben und so frenetisch sie von der Audience auch abgefeiert wurden, einen wirklich prägenden Eindruck hinterließen sie am Ende leider nicht. Da half auch die ganze sympathische Offenheit und Freundlichkeit nicht über die Fakten hinweg. Der Bandname scheint unfreiwillig wohl zugleich auch Programm zu sein. Laut, schrill, unmelodiös und schräg – Chaos eben.
Mit Giorgia Fadda und Fabio Carts agierte ein Gesangsduo auf der Bühne, das nicht wirklich miteinander harmonierte, weder stimmlich noch (scheinbar) menschlich. Zumindest gab es auf der Bühne keinerlei Kommunikation zwischen den beiden. Jeder kochte sein eigenes Gesangssüppchen. Manchmal gelang es erfreulich gut, des Öfteren sangen (oder vielmehr shouteten) die beiden kräftig aneinander vorbei. Giorgia, die Augenweide, sollte noch etwas an ihrem gesanglichen Abwechslungsreichtum arbeiten, dann stimmt die Chemie.
Gitarrist Henrik „Guf“ Rangstrup, der Däne im italienischen Team, genoss einen Auftritt sichtlich. Er machte einen außerordentlich guten Job und gehörte auch posertechnisch zu den Lichtblicken für die Fotografen. Bassist Marco Angioni machte seine „Arbeit“ unauffällig, aber sehr sauber, Drummer Raphel Saini verfügt über diesen einfachen, aber hammerharten Schlag, den diese Art von Thrash Power Prog Metal erfordert.
Der Auftritt von CHAOSWAVE kam vor allem bei den Youngsters im Publikum sehr gut an. Mich überzeugten sie nicht ganz, aber wenn sie weiter an sich arbeiten und ihren Eifer, ihre Spielfreude und sympathische Ausstrahlung mit einer Weiterentwicklung verbinden können, stehen ihnen wohl alle Bühnen der Welt offen.
Krank, krank, krank, das sind die drei Attribute, die mir spontan beim Set der Italiener
EPHEL DUATH in den Sinn kamen – und irgendwie erinnerten sie mich an The Mars Volta. Krank und gleichzeitig ober-genial. Schräg, verworren und verwirrend, dennoch genau deswegen so herrlich anzuschauen - Jazz and Fusion meets Emo-Core, Progressive and Extreme Metal.
Zunächst einmal fällt in erster Linie optische „Abweichung von der Norm einer Metal-Band“ auf. Wo andere Nu Metaller in vermeintlicher Coolness die Kniegegend vorziehen, kleben sich Bassist Fabio Feccio und Gitarrist Davide Tiso ihre Instrumente mit extrem verkürzten Riemen knapp unter dem Kinn auf die Brust und der Gastschlagzeuger spielt nach Noten. Gekrönt wird die Show von Luciano Lorusso George, der auch als Schauspieler sicher recht gut überleben könnte, zu gut ist seine Darstellung des Geisteskranken, Lebensmüden und an den Härten des Daseins verzweifelnden Menschen. Irgendwie ergab sich anhand einiger affektierter Gesten und Äußerungen allerdings der dringende Verdacht, der Gute amüsiere sich über seine Show königlich und erlaube sich (s)einen Spaß mit den Fans.
Hoch komplex die Musik, unberechenbar, mit völlig unerwarteten Wechseln und schlagartigen Breaks, konfus, schräg und keineswegs leichte Kost – man schwankt ständig zwischen überraschter Bewunderung für die gewagte Mischung aus jazzigen Gitarrenparts, funkigem Bass und Emo-Gekreische auf den einen und Nu Metal-Geriffe mit cleanen Gesängen auf der anderen Seite – oder umgekehrt.
Ein Sänger (ist er das wirklich?), der sich in überzeugend dargebotener Pose die künstliche Verzweiflung aus dem Leib kreischt, ein Gitarrist, der gar nicht in der realen Gegenwart lebt, sondern dessen Saiten irgendwo in einem Paralleluniversum gespielt werden - EPHEL DUATH polarisieren ganz klar die Geschmäcker und ernteten unterschiedlichste Reaktionen. Während sich die einen mit einem breiten anerkennenden Grinsen im Gesicht köstlich amüsierten, war bei einigen einfach nur Unverständnis und/oder Nichtgefallen zu erkennen.
Klar – für die Masse sind EPHEL DUATH nicht unbedingt geeignet. Dennoch war das unverkennbar einer der Höhepunkte des Festivals und eine grandiose Show für jene, die es „gerne mal etwas anders“ mögen.
Der Auftritt von
SCAR SYMMETRY hinterließ etwas gemischte Gefühle. Präsentierten sie sich beim Hellfest im April in München als toughe Band, die bei sehr sauberem Sound einen klasse Set auf die Bretter legte, hatten die Schweden beim ProgPower doch leichte Sound-Probleme. Zu laut, zu breiig, der Mischer scheint wohl noch dem fatalen Irrtum zu erliegen, Lautstärke sei ein Zeichen von guter Qualität. Shouter Christian Älvestam hörte sich offensichtlich selbst nicht und sang teilweise leicht neben der Spur.
Ansonsten verhält es sich mit SCAR SYMMETRY ähnlich wie mit ihren Landsleuten von Cloudscape. Von der nachgesagten Progressivität ist auf Konserve durchaus ein wenig zu finden. Live davon jedoch so gut wie nichts mehr zu hören. Der Vergleich mit dem Melodic Thrash-Death-Metal von Soilwork und typischen Power Metal-Trademarks klingt da schon passender.
Bezeichnend für die Schweden ist die immense Spiel- und Posingfreude, besonders von Bassist Kenneth Seil. Aber auch die Siebensaiterfraktion lässt posingtechnisch keine Wünsche offen für die, die auf derartige Spielchen stehen. Kleines Manko für meinen Geschmack: Die Performance des Frontmanns ist etwas zu sehr an Soilwork orientiert. Vielleicht täte ihm etwas weniger Posing und mehr Konzentration auf den Gesang ganz gut. Jedoch der Moshpit war glücklich und feierte seine Helden ordentlich ab.
Was die melodischen und gefühlvollen Death-Parts betraf war das auch völlig okay und berechtigt, steckt darin doch die wahre Stärke von SCAR SYMMETRY. Die Thrash-Keule dürften sie für meinen Geschmack allerdings gernstens eingepackt lassen. Nichtsdestotrotz: Der Schwedenfünfer bot eine gute, abwechslungsreiche Show, das Zusammenspiel der Jungs funktioniert hervorragend und ihre Professionalität macht sich positiv bemerkbar. Bedenklich ist allerdings, dass die Songs beliebig austauschbar wirken. Besonderes Erkennungsmerkmal gleich Null. Das wäre vielleicht der Punkt, an dem die Band noch arbeiten sollte um sich nachhaltig aus der Masse abzuheben. Denn um „nur“ als Soilwork-Klone durchzugehen sind sie viel zu gut.
TEXTURES – das ist in etwa so als würde man Extol, Porcupine Tree, Riverside, Meshuggah, Machine Head, Assassin, George Michael und Police auf einmal hören. Metal, Prog Metal, Thrash und Death Metal, Art Rock, Pop und Funk – die jungen Niederländer bedienen sich ungeniert und sehr kreativ einer riesigen musikalischen Palette.
Auch TEXTURES verfallen gerne in dieses eintönige Gekreische samt der dazugehörigen Fantasielosigkeit der Gitarrenriffs und leichtem Posergehabe, haben aber insgesamt den Aufbau und ihrer Songs sehr viel besser im Griff als ihre Vorgänger. Der Wiedererkennungswert hält sich trotz der durchwegs hohen Qualität der Songs jedoch ebenfalls in engen Grenzen, (ob nun‚Polars’ oder ‚Regenisis’- es ist fast dasselbe). Die Songs vom aktuellen Longplayer „Drawing Circles“ klingen jedoch sehr viel ausgereifter und die cleanen Gesangsparts sind besser proportioniert als beim Vorgängeralbum.
Obwohl auch bei TEXTURES der Spaß- und Poserfaktor nicht ganz unwichtig ist, gehen sie wesentlich unverkrampfter, deswegen jedoch nicht zwangsläufig unprofessioneller an die Sache heran. Im Vergleich zu SCAR SYMMETRY boten TEXTURES eine tolle Show, was nicht zuletzt auch dem Frontmann Eric Kalsbeek zu verdanken ist, der an sich eher ruhig wirkt, auf der Bühne aber regelrecht zur Rampensau mutiert, schreit, kreischt und seinen Bewegungsspielraum optimal ausnutzt.
Faszinierend auch, dass Erics Stimmlage in den cleanen Gesangspassagen stark nach George Michael klingt, was durchaus als Kompliment gemeint ist. Ist Michael doch einer der größten Popsänger des vergangenen Jahrhunderts.
Auch seine Mitmusiker geben sich locker, gebären sich wild und energiegeladen, agieren spontan und emotional – sie zelebrieren ihre Show mit viel Genuss, sie macht richtig Spaß und wirkt nicht einstudiert. Brachiale Riffs, wechselweise Growls, Grunts und cleane Gesänge, saubere, aber beinharte Drumschläge, vertrackte Rhythmuswechsel und dann wieder schwelgende Melodiebögen machten TEXTURES zu einem grandiosen Erlebnis, dass die Messlatte für den Headliner des Abends enorm hoch anlegte.
Schon nach kurzer Zeit wurde offensichtlich, dass
MERCENARY die vorgelegte Latte nicht erreichen würden. Zwar wurde ihnen besserer Klang bescheinigt als bei einigen vorangegangenen Festivalauftritten. Wirklich überzeugend waren die Dänen aber trotz aller Professionalität und hochwertiger Qualifikation der Musiker nicht. Ihr Melodic-Death-Thrash-Prog-Metal ist gepaart mit einer gehörigen Portion Power Metal, was des Öfteren die Gedanken in Richtung Iced Earth lenkte. Wenn Jon Schaffer mal wieder auf Sängersuche geht, sollte er dringend bei Mikkel Sandager anklopfen. Sein Faible für Tim „Ripper“ Owens ist unüberhörbar. Gemessen an Kleidung und Posen auch unübersehbar. Prägnant war in erster Linie jedoch der überwiegend hohe Gesang, der definitiv Geschmackssache ist. Hin und wieder kurz vor dem Abdriften ins nervende Gekreische, meist jedoch sehr trefflich auf den Punkt gebracht.
Die ergänzenden Growls/Backing Vocals lieferten der neue Bassist Rene Pedersen und Keyboarder Morten Sandager. Unverzichtbar waren allerdings auch die Gitarrenriffs und extrem sauberen Lines von Martin Buus und Jakob Molbjerg. Dennoch kann auch MERCENARY trotz aller Qualität, Kreativität und Komplexität der Songs der Vorwurf von zu wenig eigenen Trademarks nicht ganz erspart werden. Der Bass hätte etwas lauter sein und der Einsatz der Doublebass-Drums etwas besser dosiert sein dürfen. Doch die Fans waren glücklich und die Audience folgte auch brav der Aufforderung „Clap your hands everybody!“. Dafür bedankte sich Mikkel am Ende des Gigs mit Shakehands der ersten beiden Reihen.
Rückblickend bleibt festzuhalten, dass das Line-up des ersten Festivaltages enorm hart war, sehr viel härter als im Vorjahr. Jede Menge Thrash und (Melodic)Death Metal, der weniger mit dem klassischen Prog Metal zu tun hatte, dennoch meist recht komplex geschaffen war. Der Extra-Knaller im Line-up fehlte dieses Jahr allerdings, so dass in Summe doch einiges weniger an Fans gekommen waren als im Vorjahr. Ein kurzer Abstecher zur After-Show-Party und ein kräftigendes Heineken für den Heimweg zum Casteel, in dem selbst um 3 Uhr morgens noch Gäste Party machten.
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LG, Jamina
Jamina@myspace.comJaminas World of CultureKeep on rockin' in a free world
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