Ich hab vor einiger Zeit mal einen Artikel über die Wurzeln des Progressive Rock in der Psychedelic geschrieben. Er ist mittlerweile auf der Seite
http://www.generated-x.de/ erstveröffentlicht worden. Ich stelle ihn hier einfach mal zur Diskussion im Rahmen einer losen Reihe von Artikeln über Rockmusik. Viel Spaß und hoffentlich auch viel Feedback! Wäre toll, wenn dieser Beitrag (und der bereits hier im Forum erschienene über Prog, wo man ihn nicht vermutet), auch Anregung für weitere Artikel von euch wäre...
Also, los geht's!
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Psychedelic Prog Roots
Einige Wurzeln des Progressive Rock in der Psychedelic der 60er Jahre
Psychedelic und Progressive Rock stellen zwei unterschiedliche Stilrichtungen in der Rockmusik dar. Gleichwohl gibt es sowohl inhaltlich als auch geschichtlich Verbindungen zwischen Progressive Rock und der ihm historisch vorangehenden Psychedelic.
Zu den entscheidenden Merkmalen des Progressive Rock zählt der Bruch mit den Konventionen traditioneller Rock- und Popmusik: Stücke haben längere oder sogar ausgesprochen lange Spielzeiten jenseits von Radioformaten, sie beruhen auf vergleichsweise komplexen Strukturen, und sie ergänzen sich nicht selten zu sogenannten „Konzeptalben”. Die Musik setzt auf rhythmische und harmonische Komplexität und macht dabei vielfältige Anleihen bei Klassik, Jazz und anderem. Die Texte sollen „anspruchsvoll” oder zumindest phantasievoll sein, instrumentale Virtuosität wird angestrebt und demonstriert, Keyboards spielen eine zentrale Rolle.
Ein gewachsener „Bruch“
Doch wie kam es überhaupt zu dem „Bruch“ mit der rock- und popmusikalischen Tradition? Manche sehen King Crimsons Debüt von 1969 als eine Art „Paukenschlag“ an, mit dem sich plötzlich alles veränderte. Man kann die Dinge aber auch so betrachten, dass In the Court of the Crimson King eine späte psychedelische Blüte darstellte und diese Veränderung der Rockmusik eine allmähliche Rissbildung darstellte, die mit dem seit Mitte der 60er Jahre zu beobachtenden Anwachsen der gesellschaftlichen Gegenkultur in USA und Europa zu einer Massenbewegung einherging. Progressive Rock wäre dann „nichts weiter“ als die Fortentwicklung bestimmter Tendenzen der Psychedelic der 60er Jahre.
Für einen gewachsenen Übergang spricht auch, dass die Wurzeln einiger der relevanten v.a. britischen Prog-Bands in die psychedelische Ära zurückreichen (z.B. Yes, Emerson Lake & Palmer, Pink Floyd, Soft Machine). Auch brauchte es einige Jahre bis alle bedeutsamen Progbands Alben vorweisen konnten, die heute eindeutig diesem Genre zuzurechnen sind. Die Jahre bis 1971 hingegen steckten noch voller LPs, die kaum als klassisch-progressiv bezeichnet werden können, z.B. bei Jethro Tull vor Thick as a Brick, bei Pink Floyd vor Dark Side of the Moon, Genesis vor Nursery Cryme oder auch Yes vor dem Yes Album. Und auch die Krautrockbands wie Amon Düül II, Can oder Tangerine Dream brauchten einige Jahre, um ihren psychedelischen Wurzeln zu entwachsen.
Ursachen
Der seit Mitte der 60er Jahre zu beobachtende „Riss” in der Kultur hat viele Ursachen. Der Einstieg der USA in den Vietnamkrieg mobilisierte damals in bis dato ungeahntem Ausmaß die Opposition von jungen Menschen. Das stimulierte eine Gegenkultur mit Zentren zunächst in San Francisco (Haigth Ashbury) und bald darauf auch in London, die sich einer genormten Gesellschaft zu verweigern versuchte und die der Liebe eine politische Dimension beimaß (“Love & Peace”, “Make Love not War”). Parallel zu dieser Politisierung wurde allerdings auch die Versenkung in die Innerlichkeit von Mystizismus und Esoterik erprobt. Eine die Konventionen sprengende Rockmusik lieferte den Soundtrack zu all dem.
Zu berücksichtigen ist auch die Hinwendung des Folk zur Rockmusik: 1965 spielte Bob Dylan erstmals öffentlich auf einer elektrischen Gitarre und schlug damit rockigere Töne an. Weitere Folkmusiker folgten diesem Beispiel. Dies brachte den kritischen und erwachseneren Geist des Folk in eine Rockmusik, deren Texte sich bis dahin weitgehend um die Frage: “Liebt sie mich?” gedreht hatten. Auf der Textebene können außerdem auch die Beat-Poeten (Burroughs, Kerauc, Ginsberg) als intellektueller Einfluss zumindest auf die amerikanische Szene genannt werden.
Drogen spielten eine große Rolle. 1965/1966 fanden in den USA sogenannte Acid-Tests statt, bei denen die kollektive Einnahme von LSD durch musikalische Live-Performances untermalt wurde. Hausband der „Acid-Tests” waren die späteren Grateful Dead. Obwohl LSD 1966 verboten wurde, floss die Wirkung des bei vielen als „bewusstseinserweiternd” geltenden Rauschgifts auch in den folgenden Jahren in die Rockmusik ein.
Die mit den hier skizzierten Entwicklungen einhergehende Rockmusik wird zumeist als „Psychedelic” oder „Psychedelia” bezeichnet. In den 60-ern, als noch niemand etwas vom späteren „Prog” ahnte, galt sie bereits als „progressiver” Rock. Edward Macan spricht auch heute noch von einer ersten Welle “progressiver Rockmusik” in England (Rocking the Classics, S. 23).
Richtungen der Psychedelic
In Anlehnung an Macan lassen sich mehrere Stränge psychedelisch beeinflusster Rockmusik unterscheiden:
Bluesorientierter, härterer Rock, z.B. von Cream, Jimi Hendrix, den Yardbirds, Blue Cheer oder MC 5. Der schwere und harte, durch E-Gitarren geprägte Sound dieser Bands kann als Grundstein einer Entwicklung gesehen werden, die vom psychedelisch beeinflussten Hardrock – wie etwa “Led Zeppelin II”, Black Sabbaths “Paranoid” oder “Deep Purple In Rock” – über eine immer stärkere Aushöhlung von Bluesschemata bis hin zum vielschichtigen modernen Metal und auch zum Stoner Rock führte. Dadurch hat nicht nur der Blues einschneidende Veränderungen erfahren, hier liegt auch eine gemeinsame Wurzel von Metal und Progressive Rock, die heute im Progmetal erneut Blüten treibt.
Jazzorientierter Rock: die jazzige Psychedelic war von Bands wie Caravan, Soft Machine, Colosseum, aber auch Blood Sweat and Tears und Chicago geprägt. Doch während Caravan und Softmachine den Grundstock für die dem Prog nah verwandte “Canterbury”-Szene legten, löste die Musik von BS&T und Chicago sich zunehmend im Mainstreamrock auf. Jazz bildete auch einen Einflussfaktor für Progbands wie Caravan oder King Crimson.
An der Klassik und zugleich an den wirkungsmächtigen Beatles orientierter Rock: Hierfür stehen Bands wie die Moody Blues, Procol Harum, Pink Floyd, die frühen Deep Purple oder The Nice. In dieser Richtung wurden früh deutliche Merkmale des späteren Progrock herangebildet.
Die amerikanische Psychedelic (auch Acid Rock), die im Unterschied zur britischen Strömung stärker in den „Americana” Blues, Country, Folk etc. verwurzelt war. Bekannte Beispiele waren die Westcoast-Bands Grateful Dead, Jefferson Airplane, The Byrds, The Doors, Janis Joplin und Country Joe and the Fish. Grateful Dead beeinflussten in starkem Maße den heutigen amerikanischen „Jam-Rock”, der durch Bands wie etwa Umphrey’s McGee und Gov’t Mule vertreten wird. Parallel hierzu gab es aber auch noch den stärker am britischen Rythm'n'Blues der Sechziger Jahre orientierten sogenannten „Garage Rock“. Die bekannteren Bands wie The 13th Floor Elevators, The Seeds, MC 5 oder The Stooges boten rauere Versionen psychedelischen Sounds als ihre Kollegen von der Westcoast. Garage Rock war damit auch Bezugspunkt der ersten amerikanischen Punk-Generation in den 70ern.
Bereits erwähnt wurde die Neuorientierung des Folk im Gefolge von Bob Dylan. Hieraus erwuchsen psychedelisierte Alben etwa bei Pentangle, The Incredible String Band oder Fairport Convention.
Eine Sonderstellung nahm der sogenannte „Krautrock“ mit Bands wie Amon Düül II, Can, Embryo, Tangerine Dream oder Guru Guru ein.
War die Psychedelic-Szene 1965 noch ziemlich überschaubar und spielte sich in kleinen Clubs oder bei Underground-Events ab, so änderte sich das sehr rasch. Während dem ersten öffentlichen Auftritt von Pink Floyd 1965 keine 30 Zuschauer beigewohnt haben sollen, gab es 1967, als Psychedelic große Mode war, geradezu Unmengen von Gruppen, die zwar im Prinzip Beat- oder Bluesbands geblieben waren, die aber ihre Musik durch die damals modernen psychedelischen „Trademarks” anreicherten: elektronische Verzerrungen, Soundeffekte, exotische Klänge (vorzugsweise indisch) oder leiernde Orgelsounds. All diese psychedelischen Sounds finden sich auch auf den Alben populärer Bands wie den Who oder den Kinks, ohne dass man diese an sich für besonders psychedelisch halten würde. Die psychedelische Phase der Rockmusik lässt sich jedoch in vielerlei Hinsicht auch als eine Vorstufe des Progressive Rocks, quasi als „Proto-Prog“ verstehen. Denn auch damals fanden sich schon Bemühungen um musikalischen und textlichen Konventionsbruch, um Ausdehnung der Songlängen bei gesteigerter Komplexität und um instrumentale Vielfalt.
Eine wesentliche Gemeinsamkeit von Progressive und Psychedelic Rock ist auch der musikalische Eklektizismus – das Verwerten von Elementen aus bereits bestehenden Musikrichtungen. Und schon mit den ausschweifenden psychedelischen Konzeptalben wurde die Langspielplatte statt der Single zum zentralen Medium der Rockmusik. Die Progbands der 70-er Jahre setzten dies alles in oft verfeinerter und stärker entwickelter Form fort. Voraussetzung dafür war, dass auch in den 70-ern zunächst noch viele Plattenfirmen bzw. Labels bereit waren, Musik jenseits der üblichen Pop- und Unterhaltungsmusikformate zu unterstützen: Solange solche Konzepte noch „Mode” waren, ließen sie sich kommerziell sehr erfolgreich verwerten. Der Geist des Experiments, die ästhetische Verfremdung und nicht zuletzt die politischen Manifestationen der Gegenkultur gerieten aber gegenüber den 60-ern allmählich immer mehr ins Hintertreffen.
Eine Auswahl
Mit der folgenden Auswahl der musikalisch dem Progressive Rock oftmals nahestehenden Bands und Alben zeigt sich meines Erachtens auch das eigentliche Wesen der Psychedelic besonders deutlich. Es ist mir dabei durchaus bewusst, dass einige bedeutsame Bands mit so klangvollen Namen wie Moby Grape, The Chocolate Watch Band, Strawberry Alarm Clock, Kaleidoscope, Country Joe and the Fish, Traffic oder Blues Magoos ungenannt geblieben sind. Die Darstellung ist daher keinesfalls vollständig. Gleichwohl würde ich mich über Anregungen freuen!
1. England und Europa
Am Anfang waren die Beatles. So auch in der Psychedelic, wo bereits Anfang 1965 John Lennon und George Harrison mit LSD bekannt gemacht wurden. Das eigentliche LSD-Album der Beatles soll dann laut Paul McCartney allerdings erst Revolver (1966) gewesen sein, auf dem sich die Beatles auch schon als vollentwickelte Psychedelic-Band präsentierten. Bunter wurde es danach nur noch mit Sgt. Pepper, der Magical Mystery Tour und dem Zeichentrickfilm Yellow Submarine. Von der Suite-Anlage her schon progressive im Wortsinne war die zweite LP-Seite des zuletzt von den Beatles eingespielten Albums Abbey Road (1969).
Das Synonym für Psychedelic Rock aus dem Underground waren in den 60ern The Pink Floyd. Die Stammband der psychedelischen Clubs in London lieferte auch nach ihrem sensationellen Debut The Piper at the Gates of Dawn (1967) und dem unfreiwilligen Rauswurf von Syd Barrett einige Klassiker des Psychedelic Rock wie A Saucerful of Secrets (1968), die Filmmusik More (1969) oder auch ihr psychedelisches Spätwerk Meddle (1971). 1969 bekräftigten die Floyd auf der zweiten LP von Ummagumma nochmal ihren Anspruch auf musikalisches Experiment, während sie sich im darauffolgenden Jahr mit Atom Heart Mother (1970) an einem Longtrack mit klassischer Begleitung versuchten. Pink Floyd waren wie auch Yes eine der wenigen heute noch bekannten Bands, die aus ihren psychedelischen Wurzeln heraus in den 70ern bahnbrechende Alben des Progressive Rock schufen: Dark Side of the Moon (1973), Wish you were here (1975) und Animals (1977).
In enger Verbundenheit wie auch Konkurrenz zu Pink Floyd psychedelisierten in den späten 60ern auch die späteren Jazzrocker The Soft Machine den Beat. Deren Frühwerk The Soft Machine (1968) und Vol. 2 (1969) stand der skurrilen Verspieltheit der Pink Floyd in nichts nach. Die Musiker von Soft Machine begleiteten Syd Barrett auch auf dessen erstem Solo-Album The Madcap Lauhgs (1970).
Tomorrow waren eine kurzlebige Formation im Fahrwasser der frühen Pink Floyd. Mit Steve Howe verfügte die Band auch über einen vorzüglichen Gitarristen, der allerdings erst Jahre später bei Yes so richtig aufdrehen konnte. Tomorrow vereinigten auf ihrem gleichnamigen Album (1968) floydsche Psychedelic mit beatlesartiger Melodik und hatten mit „My White Bicycle” sogar einen kleinen Hit. Insgesamt ein gewitztes Album voll britischer Schnurrigkeit.
Ein psychedelisches „One-Album-Wonder” gelang den Rolling Stones, die mit Their Satanic Majesties Request (1967) sogar die Beatles psychedelisch überholten, um aber schon beim nächsten Album wieder in gewohnte Bluesbahnen zurückzukehren. Unter dem Einfluss von Brian Jones und LSD waren zwar auch schon auf den Alben Aftermath und Between the Buttons gewisse psychedelische Einflüsse zu finden. Aber erst auf der Satanic zündeten die Stones ein echtes Feuerwerk an wüster Experimentierfreude und musikalischer Verschrobenheit, das – obwohl es auf der soliden Bluesbasis der Band fußte – Sgt. Pepper von den Beatles recht sittsam und überschaubar wirken ließ.
Apropos Stones. Die zuvor musikalisch an die Stones erinnernden Pretty Things spielten mit S.F. Sorrow (1968) ein seinerzeit unterschätztes Psychedelic-Album ein. S.F. Sorrow – mithin in seiner Konzeption auch die erste Rock-Oper – glänzte dabei weniger durch besondere Innovationsfreude wie zuvor die Alben von Beatles, Rolling Stones, Pink Floyd oder den Beach Boys, sondern bot Ende 1968 quasi die Quintessenz der psychedelischen Rockmusik. Alles, was seinerzeit en vogue war wurde von den Pretty Things in einen Topf geworfen und collageartig zu einem faszinierend schillernden, gleichwohl sehr bekömmlichen Psychedelic-Cocktail verrührt.
Mit ihrem seltsam melancholischen, orgeldominierten Sound klangen Procol Harum wie eine Band aus längst vergangenen Tagen. Procol Harum bedienten sich auch klassischer Motive und reihten sich damit in die Schar jener Bands ein, die zeitgleich mit Keith Emersons The Nice für erhöhten musikalischen Bildungshörgenuss sorgten. The Nice als Vorläufer-Band der Prog-Giganten Emerson Lake & Palmer präsentierten dem Hörer schon 1968 die von klassischen Motiven überbordenden Werke Rondo und die Symphony for Group and Orchestra, ein Vorgriff auf ähnliche Versuche von Pink Floyd und Deep Purple.
Eben jene Deep Purple, die in den 70-ern von Manchem belächelte Hardrock-Hymnen wie “Speed King”, “Smoke on the Water” oder “Burn” produzierten, zählten auch zu der kleinen, feinen Gruppe der Klassik-Adepten. Von Album zu Album entwickelte sich die Vorliebe Lords für den Einsatz klassischer Versatzstücke. Diese Klassik-Manie gipfelte schließlich 1969 im dreisätzigen Longtrack “April” sowie dem Concerto for Group and Orchestra aus dem gleichen Jahr.
Die Verwurstung von klassischen Motiven mit skurrilen psychedelischen Rocksongs war eine Spezialität der Move, die später zum Electric Light Orchestra mutierten. Auf ihrem Album “Shazam” (1970) etwa boten sie auch einige längere Kompositionen wie „Cherry Blossom Clinic Revisited”. Hier wurde die psychedelische Experimentierfreude mit Elementen des Barocks und der Klassik auf höchst vergnügliche Weise verquickt.
Wenn man von den ersten kleineren Versuchen der Beatles (Yesterday, bereits 1965) absieht, zählen auch The Moody Blues mit Days of Future Passed (1967) zu den Vorreitern der Verbindung von Klassik und Rock. Wobei The Moody Blues sich immer auf einer Gratwanderung zwischen hübsch gemachter, poppiger Psychedelic und Schnulze befanden.
Erwähnt sei von den britischen Bands schließlich noch die weniger bekannten Hapshash and the Coloured Coat Featuring The Human Host and The Heavy Metal Kids. Was doch mal ein richtig hübscher Name für eine Band jener Jahre ist! Hapshash führten 1968 mit dem gleichnamigen Album die Wüstheit der angetörnten Stones nochmals fort und improvisierten bis zu 16 Minuten lange laute Klangorgien, indem sie Motive ständig wiederholten und langsam weiterentwickelten. Die Band wurde eine der Inspirationsquellen für den „Krautrock“ im Umfeld der Amon Düül. Und tatsächlich hörte sich das Debüt von Hapshash schon wie eine Vorwegnahme des frühen Düül-Sounds an.
Eine besondere Blüte der internationalen psychedelischen Szene stellte die Sängerin Nico dar. Das Ex-Model veröffentlichte Ende der 60-er nach ihrem musikalischen Debüt und einer LP mit den Velvet Underground zwei exzellente Alben, die pure „Kunstmusik” beinhalten. Sie leben von der ungewöhnlichen, dunklen, ausdrucksstarken, wenn auch gewöhnungsbedürftigen Stimme der Sängerin. Am Rock mangelte es allerdings. So fehlte etwa das Schlagzeug, nur gelegentlich wurden Percussioninstrumente eingesetzt. Stattdessen dominierten Gesang, Streicher sowie gelegentlich Mellotron und Flöte. Die Stimmung war beängstigend bis morbide, eine undefinierbare Mischung aus finsterster Psychedelic, Klassik und Folk. Während auf Chelsea Girl (1966) noch Liedähnliches zu erkennen war, zerfaserte die Musik auf Marble Index (1968) zunehmend. Trotzdem handelte es sich hier nicht um reine Kopfmusik, denn das Gefühl wurde stark berührt.
2. Amerika
Jefferson Airplane waren mit ihrem Werk Ende der 60-er eine der großen amerikanischen Psychedelic-Bands. Ihre Bestform erreichten sie mit dem Album After Bathing at Baxters (1967). Dieses Album bestand aus 5 Songzyklen mit jeweils 2-3 Stücken, die teils „normalen” psychedelischen Songcharakter hatten, teils aber auch schräg improvisatorisch (Spare Chaynge) oder surreal zappaesk (A small package of value will come to you, shortly) gestaltet waren. Eine kleine „Wundertüte”, die den guten Ruf der Band in psychedelischen Kreisen entscheidend prägte. Auf späteren Platten verließ sie der experimentelle Geist jedoch wieder.
Eine weitere Frisco-Band, die legendären Grateful Dead, können mit ihren ellenlangen eklektizistischen Improvisationen als Godfathers des Jamrock betrachtet werden. Live kamen die zerfließenden Improvisationen der Band besser zur Geltung als auf ihren Studioalben. Wobei “Anthem of the Sun” (1968) eine gelungene Mischung aus Live- und Studiosachen enthielt.
Beim Song „Bombay Calling” von It’s a Beautiful Day hatten Deep Purple offenkundig ihren Hit „Child in Time” abgekupfert. Anstelle von Ian Gillans Gejodel gab es auf dem Album It’s a Beautiful Day (1969) allerdings Geige satt. Deutlich konnte man den typisch amerikanischen Background heraushören, der bei den meisten US-Bands jener Jahre aus Blues- und Folkelementen bestand. Ansonsten klang das Debüt der Band aus San Francisco mit gemischtem Gesang auch etwas nach Jefferson Airplane – in psychedelischer Hochform - und mit viel Orgel und Gefiedel.
Eine äußerst dynamische Mischung aus Westcoast-Psychedelic und Pink Floyd spielten H.P. Lovecraft ein, wie es besonders schön auf ihrem Album „Live, May 11, 1968” zu hören ist – gerade Live oder in Sessions liefen Psychedeliker stets zu Hochform auf. Die Vokalharmonik war bei den Wahl-Kaliforniern deutlich amerikanisch, während der dominante, klassizistische Orgelsound und die verzwickte Rhythmik stark an die britischen Bands erinnerten.
Vanilla Fudge, deren Technik vorwiegend in der zeitlupenhaften Zerdehnung ihrer Stücke, gern auch bekannter musikalischer Vorbilder bestand, boten auf diese Weise nie gehörte Trips. Wer etwa das Beatles-Cover Eleanor Rigby auf dem Debut Vanilla Fudge (1967) mit dem Original der Beatles vergleicht, weiß, was Psychedelic mit der Rock- und Popmusik der 60er Jahre angestellt hat. In über acht Minuten wird das nette kleine Beatlesstück nach allen Regeln der Kunst zerstückelt und verfremdet. Ganz große Kunst!
Eine auch für Proggies interessante Scheibe ist Happy Trails (1969) von Quicksilver Messenger Service. Über eine komplette LP-Seite hinweg variierte und zerlegte die Band das Blues-Stück „Who do you love” mit sämtlichen psychedelisch-verfremdenden Finessen. Und auch der Longtrack „Calvary” zeugte von Experimentierfreude. Quicksilver sprengten die Ketten des Blues, ohne ihre Herkunft zu verleugnen.
Auch Zappa, der ja durchaus seinen ganz eigenen Stil pflegte, hatte mit den The Mothers of Invention seine psychedelische Phase (ebenso wie übrigens seine Prog-Phase, man höre v.a. One Size Fits All aus dem Jahr 1975). Die ersten Alben vom Debut Freak Out! über das superpsychedelische Absolutely Free (1967), das ein wenig die Beatles parodierende We're only in it for the Money (1967) bis hin zum schon dem Jazz nahestehenden Uncle Meat (1968) lieferte Zappa einen Reigen feinster psychedelischer Alben, die von seiner unnachahmlich schrägen Verquickung unterschiedlichster musikalischer Stile mit allermerkwürdigsten Texten lebte.
Eine der musikalisch vielschichtigsten amerikanischen Bands waren Spirit, die auf ihrem Album Twelve Dreams of Dr. Sardonicus (1970) eine Reise durch das psychedelische Universum veranstalteten. Dabei kam Spirit ein traumwandlerisches Gespür für eingängige, aber nie banale Melodien und für Arrangements zupass, die bei aller Vielfältigkeit doch wie aus einem Guss wirkten.
Stilistisch wesentlich eingeschränkter hingegen wirkten Quintessence, die sich ganz auf den indischen Aspekt der neuen Musik konzentrierten und bis in die 70-er Jahre hinein „bewusstseinserhellende” Alben veröffentlichten. Noch vor einigen Jahren war ein Nachfolgeprojekt als Shiva’s Quintessence unterwegs.
Stark an den Beatles orientiert waren 1969 die relativ unbekannten The Head Shop, die dabei mit einer gehörigen Prise Experimentierfreude nachwürzten. Ihre direkten Beatles-Cover wirkten dabei noch eher konventionell, während sie in ihren Eigenkompositionen die Kombination aus klassischen Elementen, Beatles-Harmonik und psychedelischen Effekten sehr überzeugend rüberbrachten.
Wer von den Beatles spricht darf von den Beach Boys nicht schweigen. Seit den Alben Rubber Soul (1965) und Pet Sounds (1966) befanden sich Beatles und Beach Boys in einer kreativen Konkurrenz. Als Antwort auf Revolver (1966) wollte Beach Boys-Mastermind Brian Wilson 1967 zum großen Geniestreich ausholen, aber es blieb wegen nervlicher Überreizung bei Fragmenten, die gleichwohl sehr hörenswert sind. Aus dem geplanten Projekt Smile wurde Smiley Smile (1967), ein immerhin nettes psychedelisches Album voller großartiger Vokalharmonien und vielschichtiger Instrumentierung, wie sie allerdings bereits in großer Schönheit auf Pet Sounds (1966) zu hören war. Aus dem Umfeld der Smile-Sessions kam auch der Wilson-Intimus Van Dyke Parks, der auf seinem Album Song Cycle (1967) ein Sammelsurium der skurrilsten Stücke amerikanischer Psychedelic zwischen Vaudeville und Kunstmusik bot.
Virulent war Ende der 60-er Jahre nicht zuletzt die Verknüpfung von Jazz und Rock, auch wenn diese ihren Höhepunkt erst in den 70-ern erlebte. Bands wie Chicago oder auch die weniger bekannten Ides of March näherten sich von der Rockseite dem Jazz. Dies geschah in der Regel allerdings eher konventionell und locker groovend. Blood Sweat & Tears hingegen boten – etwa auf ihrem Album 3 (1970) – mit ungestümer, anarchischer Spielfreude und komplexen Arrangements überzeugende Leistungen, so die “Symphony for the Devil” (auf Grundlage des bekannten Stones-Songs).
(((Christian Rode)))
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(weiterführende Literatur)
Belmo: Psychedelia. 1999
Jim DeRogatis: Turn on your Mind. Four Decades of Great Psychedelic Rock. 2003
Jerry Lucky. The Psychedelic Rock Files. 2002
Edward Macan: Rocking the Classics. English Progressive Rock and the Counterculture. 1997
Bill Martin: Listening to the Future. The Time of Progressive Rock, 1968-1978. 1998