Die Emocore-Truppe aus dem „Big Apple“ New York war bereits im Herbst auf einer Promo-Tour für ihr drittes Album „Good Apollo, I’m Burning Star IV“ und gab dabei ein Free-Entry-Gastspiel bei der „Free-And-Easy-Woche“ im Münchner Backstage. Man stelle sich das vor: Das Backstage proppenvoll, tunlichst die Luft anhalten und ja nicht versuchen den Standort zu wechseln, denn das wäre ohnehin ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Nachdem diese erste Live-Begegnung mit COHEED AND CAMBRIA im September etwas chaotisch verlief, war der zweite Anlauf dann okay. Die Veranstalter hatten daraus gelernt und waren für offizielle Wintertour in die Georg-Elser-Halle ausgewichen. Eine gute Idee, da der Andrang etwa ebenso groß war wie im Herbst und sich schätzungsweise an die 1.000 Fans in die Halle drängten. Der Wechsel tat nicht nur dem Publikum sondern auch den Musikern ausgesprochen gut, hatten sie doch hier eine Bühne zur Verfügung die mindestens doppelt so groß ist und freiere Entfaltung ermöglicht.
Mit dem filmreifen Streicher-Intro „Keeping The Blade“ betreten Coheed and Cambria im Halbdunkel die Bühne um mit „Welcome Home“ gleich mal einen der besten Songs des aktuellen Albums abzuliefern. In bewährtem und bekannten Musik-Mix aus Emocore, Pop, Independent und Progressive Rock und Metal erzählen sie stückchenweise und in willkürlicher Reihenfolge die Abenteuer ihrer Sci-Fi-Helden Coheed und Cambria Kilgannon, die in der Vergangenheit auf einem erdähnlichen Planten leben. Die Filmvorlagen zum Thema dürften hinlänglich bekannt sein. Die musikalische Umsetzung der eigenen Geschichte ist gut gelungen und vor allem die Teenie-Generation in großer Zahl ansprechend. Verwirrend dabei ist zum einen, dass die Geschichte wie die Star-Wars-Trilogie in der Mitte beginnt und in vier Teilen zuerst zum Ende führen soll bevor der Anfang allen Unglücks preisgegeben werden wird (weiß der Himmel in wie vielen Jahren sich Claudio Sanchez dieses verwirrende Comic-Epos-Ende zurechtlegen wird) . Verwirrend ist aber auch, dass der großteils scheinbar lockere, oberflächliche Stil der Musik nicht immer mit dem dramatischen textlichen Inhalt übereinstimmt und damit relativ weit in die Comic-Strip-Schiene abdriftet. Natürlich ist das nicht immer so, die Ballade „Wake Up“ zum Beispiel, das punkige „The Suffering“ und „Ten Speed“, wo trotz der vermeintlichen Oberflächlichkeit Text und Musik übereinstimmen.
Claudio Sanchez’ Markenzeichen sind die wirre Matte auf dem Kopf und seine hohe eigenwillige Stimme, die manche mit dem Rush-Sänger Geddy Lee vergleichen. Der Vergleich hinkt natürlich etwas, die Stimme an sich jedoch verleiht Coheed and Cambria ihre ganz besondere Note. Claudio glänzt jedoch nicht nur durch optische Auffälligkeit – nein, das wäre zu einfach. Trotz der beiden vor kurzem gebrochenen Finger der rechten Hand glänzte er mit feinen, sauberen Gitarrensoli und einigen Kunststückchen, wie die Gitarre während des Spielens auf den Schultern zu platzieren. Einzig bei der mehr als zehnminütigen Zugabe, die ihm viele Leadpassagen abverlangtre, war sekundenweise deutlich zu sehen, dass die Finger mit der Zeit doch ganz schön schmerzten. Dennoch hielt er eisern durch bis zum Schluss.
Zudem sind auch die Musiker allesamt hochkarätige Könner. Ein rasend schneller, funkiger Bass, den Michael Todd auf seinen fünf Saiten mit flinken, geschickten Fingern ziemlich ausreizte, bretthartes Drumming vom behandschuhten Joshua Eppard und eine fette Riffwand mit den zwei E-Gitarren von Claudio Sanchez und Travis Stever knallen live aus den Boxen. Einzig der eigens für die Tour angeheuerte Keyboarder ging sang- und klanglos unter. Weder gelang es ihm den Sound einigermaßen hörbar und druckvoll in die Schar zu bringen, noch sah man ihn. Dabei war z.B. gerade bei Opeth im Dezember deutlich zu hören, welches Live-Potential in einer richtig guten und optimal eingesetzten Keyboardverstärkung stecken kann.
Die Setlist erwies sich als solider Querschnitt durch die drei bislang veröffentlichten Alben, das Quartett auf der Bühne verausgabte sich und schwitzte ordentlich. Die Fans rockten ebenfalls brav mit. Es war zwar klar ersichtlich, dass „nur“ bestimmte Songs als wirkliche Knaller bezeichnet werden dürfen. Wer allerdings aus drei schrägen Sci-Fi-Strip-Alben die Sahnestückchen abschöpfen kann, so wie unsere Comic-Helden hier, kann nicht viel falsch machen und die Songs mit Längen ja außen vor lassen. „Echte“ Highlights waren ehrlich gesagt die beiden Zugaben. „In Keeping Secrets Of Silent Earth: 3” ist schlicht und einfach und immer der ultimative Mitgeh-Song, der die gesamte Elser-Halle zum Toben brachte. Diesen Refrain kann mit Sicherheit das gesamte Publikum – der Beweis wurde umgehend erbracht. „The Final Cut“ kann zwar nicht als Pink-Floyd-Cover durchgehen, da mit eigenem Text und anderes Gesangslinien versehen, die musikalischen „Ausleihungen“ sind jedoch unüberhörbar – eine offensichtliche Hommage an ihre Idole Pink Floyd. Ausufernde Gitarrensoli, reichlicher Einsatz einer Talkbox von Travis, fast hätte man versucht sein können zu sagen: „Pink Floyd rules“, aber die gibt es ja nicht mehr. Etwa 12 Minuten das Gefühl zu haben im Halbdunkel auf einer Wolke aus Gitarrenriffs und großartigen Soli dahinzuschweben, zeigte mehr als deutlich, dass Coheed and Cambria echte Könner und zu emotionaler, musikalischer Tiefe durchaus fähig sind.
Als Aufwärmer hatten Coheed and Cambria übrigens JR Ewing im Gepäck. Mit Bands wie Trail of Dead, Dredg oder The Mars Volta werden diese norwegischen Hardcore-Punks verglichen und hochgelobt, dabei fehlt es nach meiner Meinung dahin noch ein ziemliches Stück. Doch die Geschmäcker sind verschieden, den Fans hat’s gefallen und stilmäßig hat es zu Coheed and Cambria auch gepasst. Soweit so gut also.
Setlist Coheed and Cambria: 1. Keeping The Blade 2. Welcome Home 3. Ten Speed 4. Blood Red Summer 5. Apollo I – The Writing Writer 5. Once Upon Your Dead Body 7.A Faviour House Atlantic 8. Wake Up 9. The Suffering 10. Devil In Jersey City 11. Everything Evil
Zugabe: In Keeping Secrets Of Silent Earth: 3 The Final Cut (very special length)
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